Von Alexander
Marguier
Der jüngste
Schweinefutter-Skandal in Bayern hat ihn nicht überrascht.
Vielmehr wundert sich Professor Fritz Ungemach darüber, dass
es so lange gedauert hat, bis Ende voriger Woche wieder einmal illegale
Pharmazeutika bei Tierärzten, Landwirten und Zwischenhändlern
sichergestellt wurden. Denn für Ungemach, Direktor des Instituts
für Pharmakologie an der Veterinärmedizinischen Fakultät
der Uni Leipzig, steht schon lange fest, dass in Deutschland und
ganz Europa trotz Verbots flächendeckend Hormone an das Borstenvieh
verfüttert werden.
Der renommierte Wissenschaftler sieht eine regelrechte "Mafia
der Tierhalter" am Werk, die sich nach dem Muster der organisierten
Drogenkriminalität zu einem Netzwerk zusammengeschlossen hat
und illegale Hormon-Präparate zur Wachstumsförderung "über
dunkle Kanäle aus Bulgarien, Rumänien und Fernost beschafft".
Doch Gefahren drohen den Verbrauchern, auf deren Tellern das Schweinefleisch
schließlich landet, nicht nur durch Hormon-Syndikate. Sondern
auch durch Antibiotika, die teilweise ganz im Einklang mit den Gesetzen
dem Schweinefutter beigemischt werden. In einem Umfang, den Ungemach
für Besorgnis erregend hält.
Der Schlüsselbegriff
lautet "Metaphylaxe" und steht für eine Vorsorgemaßnahme,
die unmittelbar mit der Massentierhaltung zusammenhängt: Jedes
Schwein trägt bestimmte Erreger wie etwa Salmonellen in sich,
von denen allerdings keine individuelle Gefahr ausgeht, weil sich
der Organismus des Tieres darauf eingestellt hat. Schwierig wird
es erst, wenn Schweine aus unterschiedlichen Beständen, wie
in der Massentierhaltung üblich, in einem großen Stall
zusammengepfercht werden und so mit neuen Erregern in Berührung
kommen. "Dann geht es zu wie in einer überfüllten
Straßenbahn, in der sich die Fahrgäste gegenseitig mit
einer Erkältung anstecken", sagt Ungemach.
Um den Ausbruch
von Krankheiten im Stall zu verhindern, bekommen die Schweine vorsorglich
Antibiotika verabreicht. Doch keineswegs in individueller Dosierung,
sondern nach dem Gießkannenprinzip: "Da kommt das Zeug
ins Silo rein und wird zwei Wochen lang an alle Tiere verfüttert",
sagt Ungemach. Nicht anders sehe die Praxis im Übrigen bei
der Massenhaltung von Geflügel aus. Mehr als 5000 Tonnen Antibiotika
werden in den Ländern der EU und in der Schweiz jedes Jahr
für Tiere verbraucht, 80 Prozent davon für Nutztiere,
die - in welcher Form auch immer - Teil der menschlichen Nahrungskette
sind.
Jedes Schwein
erhält laut Ungemach im Laufe eines Jahres durchschnittlich
55 Milligramm Antibiotika je Kilogramm Körpergewicht, zum größten
Teil als Futterbeimischung, um beispielsweise eine bessere Mastleistung
zu erreichen. Doch das sind eben nur Durchschnittswerte. "In
der Massenhaltung werden die Tiere nicht selten mit dem Zwanzigfachen
dieser Menge vollgepumpt", sagt der Veterinärmediziner.
Für die
Fleischindustrie sind Antibiotika deshalb auch beileibe kein vernachlässigbarer
Posten in der Bilanz, sondern ein gewaltiger Kostenfaktor. Je billiger
das Schnitzel sein soll, desto intensiver die Haltung, desto höher
der Bedarf an Medikamenten, so die einfache Rechnung. Und wer sich
die Antibiotika nicht auf dem offiziellen Weg über Tierärzte
beschafft, sondern auf Schwarzmarktprodukte aus den Vereinigten
Staaten oder aus China zurückgreift, kann bis zur Hälfte
der Kosten sparen.
"Bei einem
Zuchtbetrieb mit 300 Schweinen geht es da um etliche tausend Mark
im Jahr", sagt Michael Loeckx, Autor des demnächst erscheinenden
Buches "Gesundheitsrisiko Schweinefleisch". Offenbar greifen
auch immer mehr Landwirte zu den billigen Schwarzmarkt-Präparaten,
denn den Erhebungen von Loeckx zufolge haben die europäischen
Pharmaunternehmen in den vergangenen Jahren Umsatzeinbußen
bei Antibiotika von mehr als 40 Prozent hinnehmen müssen.
Die Billig-Medikamente
haben aber noch einen anderen Vorteil: Weil sie vom Schwarzmarkt
stammen, braucht auch kein Tierarzt sie vorher zu verschreiben -
die Dosierung erfolgt nach Gutdünken des Züchters und
mithin abseits jeglicher Dokumentation und Nachverfolgbarkeit. Dass
es neben Futtermittelvertretern ausgerechnet einige Tieräzte
sind, die sich die Antibiotika via Internet beschaffen und weiterverkaufen,
ist allenfalls ein pikanter Nebenaspekt.
Michael Loeckx
ist der Auffassung, dass die in Bayern aufgedeckten Fälle von
illegalem Medikamenten-Handel nur die Spitze des Eisbergs bilden.
Seinen Unterlagen zufolge sind in Deutschland mindestens 900 Mastbetriebe
in den Skandal verwickelt, die meisten davon in Bayern und den neuen
Bundesländern. Der laut Loeckx einzige Ausweg aus dem Teufelskreis
klingt für die Verbraucher spätestens seit der BSE-Krise
vertraut: "Wir müssen weg von der Massentierhaltung."
Selbst beim Zentralverband der deutschen Schweineproduktion scheint
sich ein gewisses Problembewusstsein herausgebildet zu haben. Zumindest
rät dessen Geschäftsführer Jens Ingwersen seiner
Klientel, endlich zu erkennen, "dass es sich bei Schweinefleisch
um Lebensmittel handelt".
Zitat aus:
http://www.welt.de/daten/2001/01/28/0128de218701.htx
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